Fortsetzung des letzten Blogbeitrags.
Wir sprechen weiter. Über Geld, Politik und Vision.
Aaron: Du hast vorher Finanzierungsprobleme angesprochen. Im unternehmerischen Bereich kann man sich das ja erklären. carbonauten sucht bevorzugt strategische Investoren, damit es beim Welt retten nicht zu einem Interessenkonflikt kommt. Da ist die Auswahl etwas dünn.
Wer aber das carbonauten System (zumindest halbwegs) verstanden hat, kommt erstmal aus dem Staunen nicht mehr raus. Das ist echt eine verdammt gute Idee. Wieso wird da staatlich keine Kohle reingepumpt?
Torsten: Weil wir einfach keinen mutigen Staat haben in diesen Beziehungen. Ich glaube da haben die konservativen Regierungen der letzten Jahrzehnte, als das Thema Start-Up in Deutschland groß wurde, geschlafen. Es ist eben keine Mentalität der Deutschen Risiken einzugehen. Es kam dann auf mit den erfolgreichen Start-Ups aus den USA, dass deutsche Stellen gemerkt haben: „Oh, das wäre auch was für uns“. Für ein Thema wie wir das haben, brauchst du aber sehr viel technisches Grundverständnis.
Die Start-Ups stehen auf den Messen und dann kommt auch mal ein Politiker rein, und findet großartig, was man macht. Aber die Regierung hat eben keine Budgets dafür. Das ist ein Problem meiner Ansicht nach, weil man es sich in Deutschland sehr bequem macht und alles der Wirtschaft überlässt. Der Neoliberalismus sagt ja: „Der Markt wird’s schon regeln“, und ich glaub nicht, dass der Markt regelt.
In Norwegen beispielsweise gibt’s dafür inzwischen eigene Staatsfonds, wo der Staat quasi in Start-Ups investiert. Es ist auch richtig so, dass es der Staat macht und nicht die Wirtschaft. Denn die Wirtschaft hat immer ein Eigeninteresse. Die machen dann so ein Start-Up platt, das gibt’s auch. Letztendlich ist das Start-Up eine Konkurrenz. Das Start-Up gibt’s ja eigentlich nur deshalb, weil es irgendwo Lücken in der Wirtschaft gibt. Weil da Dinge nicht gemacht wurden. Als Start-Up-Gründer siehst du eine Lücke, und da gehst du rein. Das kann natürlich zu einer Bedrohung werden.
Unterm Strich ist man in Deutschland gezwungen über viele Finanzierungsrunden Teile aus der Firma anzubieten. Dann verwässert man. Man verliert immer mehr Anteile und kriegt immer mehr Gesellschafter rein. Das ist immer schwieriger zu handhaben. Ich kenne Start-Ups die haben mit 100 % im Eigenbesitz angefangen und die Gründer sind heute bei 30 %. Das heißt auf der anderen Seite sitzen mächtige Investoren, die die Möglichkeit haben, das Unternehmen mitzusteuern. Da bist du außen vor. Es ist deine Idee, aber der andere bedient sich.
Es ist eigentlich viel sinnvoller, dass du einmal dickes Geld bekommst. Dann bleibst du dein eigener Herr, kannst in Ruhe entwickeln, und dir die Experten rein holen die du brauchst. Du bist nicht, so wie wir, von der Tatsache getrieben, dass du nochmal Geld für die Skalierung brauchst. Für die Erweiterung, für andere Standorte.
So bist du nur am Pitchen. Du stellst dich ständig bei Investoren vor. Du musst dir das ganze Risikogelaber anhören. Die erklären dir ständig nur, warum es nicht geht. Das ist doch Schwachsinn. Das will ich nicht hören. Ich weiß doch schon, dass es geht.
Der Herr Lindner war mal bei mir am Messestand auf dem Greentech Festival. Dann hat er sich 10 Minuten angehört, was wir machen. Er hat am Schluss gefragt: „Herr Becker, was bräuchten sie denn jetzt von der Politik?“. Dann habe ich gesagt ich brauch eine grüne Regierung. Ich wollte nicht sagen ich brauche Geld. Der Staat darf das ja gar nicht bei uns im System.
Aaron: Wie intensiv musste sich carbonauten bis jetzt gegen Plagiarismus wehren?
Torsten: Christoph und ich haben vor ein paar Jahren entschieden, dass wir keine Wettbewerber haben. Ich fand schon immer Steve Jobs, den Gründer von Apple, gut. Der hatte eine sehr klare Haltung. Der hat gesagt: „Ich kenne keine Konkurrenz“. Man muss in unserer Branche das Feindbild ablegen. Wenn’s um Umweltschutz geht, um Alternativen zu fossilen Energien, um Chemie und um Energie, dann ist das ein Gesamtprojekt. Da hat jeder was davon. Je mehr Spieler drin sind, desto bekannter und attraktiver wird das Thema Dekarbonisierung, desto größer sind unsere Chancen. Wir müssen uns dann innerhalb dieser Masse besonders abheben mit besonderen Ideen, aber das Thema muss von allen getragen werden. „Das ist mein Ding und ich lass da niemanden ran“ glauben wir ist ein Fehler. Zumal ja auch die Rettung der Zivilisation eine gemeinschaftliche Aufgabe ist. Das kann kein Startup und das kann auch kein Multimilliarden-Unternehmen machen. Das müssen viele Menschen machen. Wir müssen bereit sein, das Leben neu zu definieren.
Ich mag die Blue Ocean Strategie von Steve Jobs. Das heißt: Blauer Ozean, ich fahre gerade in Richtung eines Ziels. Als Gegenmodell gibt’s den Red Ocean. Da beschäftigst du dich mit Wettbewerbern. Das ist wie ein Haifischbecken wo einer den anderen killt und versucht ihn zu übertrumpfen. Wir sind eben Blue Ocean. Das entspannt total, beschleunigt und spart Energie, die man in sich selbst investiert.
Und zuletzt ist das carbonauten System so komplex und basiert auf so viel Wissen. Selbst wenn ein riesiger Konzern kommt und 100 Millionen in die Hand nimmt, um uns zu zerschießen, wir sind kleiner und viel schneller.
Wenn jemand nur geldgetrieben ist, wird er nie erfolgreich sein. Also wirtschaftlich vielleicht schon kurzzeitig, aber bei uns ist eben die Haltung ein ganz großes Momentum. Ich bin fest davon überzeugt, dass ein Kunde, ein Mitarbeiter, ein Politiker, wer auch immer wichtig für uns ist, uns immer bevorzugen wird. Weil es eben nicht nur ein Produkt ist, sondern es steckt was ganz anderes dahinter.
Aaron: Was werden die wichtigsten Meilensteine in 2023?
Torsten: Klar die Inbetriebnahme der Anlage Eberswalde. Wir wollen auch die beiden Geschäftsbereiche Agriculture und Polymers ausgründen und eigene GmbH & Co. KGs daraus machen. carbonauten hat je 80 % der Anteile, und 20 % kriegen die jeweiligen Verantwortlichen. Dann haben diese Firmen eine sehr starke Konzentration auf bestimmte Branchen. Investoren aus dem Kunststoffbereich investieren lieber in eine Firma die Kunststoffe macht, als in eine Firma die auch noch Landwirtschaft macht. Du kannst denen 10mal erklären, dass du auch in der Landwirtschaft eine Folie brauchst, es gibt ja eine Menge Kunststoffprodukte in der Landwirtschaft, aber soweit denken die nicht.
Dann kann es noch ein paar Gründungen von internationalen Auslandsgesellschaften geben. carbonauten Spanien denke ich, die USA, vielleicht der Balkan, vielleicht Indonesien. Und dann geht’s dieses Jahr vielleicht noch bei 2-3 Standorten in die Vorplanung und die Finanzierung.
Und dann natürlich weitere Mitarbeiter finden. Das Wachstum muss man ja unterfüttern, du kannst nicht nur ’ne Fabrik hinstellen. Für den Forschungs- und Entwicklungsbereich und für die sogenannten Services, sei es Personal, Marketing, Sales, Kommunikation, Finanzen und so weiter. Das sind alles zentrale Funktionen und die musst du dementsprechend mit top Leuten besetzen. Top Leute heißt nicht immer der Professor, sondern das sind auch mal tolle Studenten, die sich wahnsinnig schnell in die Situation reinversetzen können und die nicht durch einen Konzern versaut sind. Top Leute sind aber auch erfahrene Leute, die einfach Bock haben. Bei denen es nicht mehr um’s Geld geht, sondern die sagen: „Mensch, hier kann ich leben und arbeiten. Hier hab‘ ich die Freiheit die ich brauche.“ Da muss ich nicht Unternehmer sein, sondern ich fang bei carbonauten an und dann bin ich ja Unternehmer im Unternehmen. Das gefällt mir.
Aaron: Was sind die weiteren Pläne für den Standort Eberswalde? Stichworte lebendes Labor, Versuche mit Biomassen, Carboneers, Hardware-Entwicklung?
Torsten: Hardware hast du eben richtig schon gesagt, da wird sicherlich die Technologie weiterentwickelt. Wir haben auch Impulse von außen bezüglich Aktivkohle und Wasserstoffproduktion.
In Eberswalde sind wir auch so weit, dass wir vielleicht ein kleines Carbon Valley aufbauen können. Da gibt’s erste Interessenten. Man kann den Standort sukzessive ausbauen.
Was dort passiert, kann man auch an anderen Standorten anwenden. Trotzdem sollen andere Standorte in Zukunft auch selbstständig entscheiden können. Und wenn Innovationen dann gut funktionieren, kann man die auf andere Standorte übertragen. Da kann so eine gewisse Dynamik entstehen. Ein sportlicher, fairer Ehrgeiz, wo Mitarbeiter einfach spüren: „Mensch da leisten wir was, bringen was tolles mit rein.
Also das ist so die Aussicht: Hier in Giengen eher die zentrale Verwaltung und Organisation. In Eberswalde eher Hardware, und natürlich auch für Eberswalde der Wunsch eines Forschungs- & Entwicklungszentrums, eines eigenen Gebäudes, sehr nachhaltig und ökologisch gebaut. So ’ne Heimat schaffen. Das steht an jetzt in ’23
Aaron: Okay das hat jetzt für Leser mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet. Was ist ein Carbon Valley?
Torsten: Die Idee für Carbon Valleys ist irgendwann mal so vor 2 Jahren entstanden, als ich über das Silicon Valley nachgedacht habe. Anestis hat in der Nähe ein Praktikum gemacht und hat den dortigen Spirit gelobt. Er war zu einer Präsentation nach San Francisco rübergefahren und hat dann mal Pitches mitgemacht und gesagt: Papa, die sind alle mit 10 – 20 Millionen raus gegangen. Das waren 10 Startups und circa 20 Investoren und die haben alle ’nen Deal gemacht. Das war krass. Dieser freiheitliche Stil, das Risiko, das macht das Silicon Valley aus, wo sich Firmen ansiedeln, die alle was mit dem Thema Computer, Programmierung und Hardware zu tun haben. Dann hab‘ ich gedacht, warum nicht auch ein Carbon Valley. Auch wenn das jetzt großkotzig kommt und verrückt. Die Anlagen immer als zentrales Element, wo die Energie und Produkte entstehen. Und darum herum eigene Mitarbeiter und eigene Entwicklungen. Auch mit Externen, mit Start-Ups, die vielleicht eine Pilotanwendung brauchen, und die passen dann zu uns weil sie irgendwas mit Ökologie und Umweltschutz, mit CO2 oder anderem Emissionen zu tun haben. Im besten Falle ist das dann mit einer Wohnsituation verbunden. Menschen leben dort auf dem Gelände, in kleinen Mitarbeiterdörfern, vielleicht irgendwann mit einem Kindergarten, mit einer Schule. Das kommt ja dann zwangsläufig. Experimentell würde ich es auf jeden Fall mal angehen. Dann werden vor Ort, für die Menschen, die dort wohnen, Lebensmittel produziert. Da gibt’s dann Aquakulturen, wo man Salzwasserfische reinpackt, oder natürlich Landwirtschaft und Gewächshäuser, die mit unserer Energie versorgt werden. Und so weiter. Da kann man eine kleine carbonauten-Zivilisation aufbauen.
Wenn man da mal anfängt, dann siedeln sich auch ganz viele an. Das hat eine Magnetwirkung. Du musst eine kritische Größe erreichen, dann kommen immer mehr. Das muss alles auch nicht uns gehören. Da geht’s drum, Leuchtturm-Projekte zu starten, die den Menschen ein Stück Hoffnung geben. Denn das, was auf die Menschen zukommt, das ist nicht angenehm. Davon bin ich fest überzeugt. Da könnte unsere Lebensform in einem carbonauten-Valley tatsächlich eine Alternative sein.
Ich glaube es geht als Antwort auf menschliche Entwicklung nicht darum, dass man zurück in die Höhle geht, auch wenn das das Beste für uns wäre. Wir sind letztendlich nackte Affen. Aber es ist schwer, den Leuten beizubringen: „Du musst jetzt auf alles verzichten“. Das geht in einer Extremsituation wie dem Ukraine-Krieg. Da haben sie Verständnis dafür, aber jetzt den Leuten alles wegzunehmen, da rebellieren sie.
Es sind zwischenmenschliche Themen, die wir da brauchen. Mitgefühl ist für mich eines der stärksten Motive. In jedem Menschen steckt ein Stück Carbonaut.